2.4 Das AS-AD-Modell: Schocks und wirtschaftspolitische Reaktionen

Das aggregierte Angebot zeigt an, wie viel die Unternehmen bei einem bestimmten Preisniveau anbieten wollen, und die aggregierte Nachfrage beschreibt, wie viele Güter zu einem bestimmten Preis nachgefragt werden. Im Schnittpunkt beider Kurven stimmen Gesamtangebot und –nachfrage überein: das gleichgewichtige Produktions- und Preisniveau.

Der Schnittpunkt von langfristiger Angebotskurve und aggregierter Nachfragekurve stellt das langfristige Gleichgewicht der Volkswirtschaft dar. Verläuft die kurzfristige Angebotskurve ebenfalls durch diesen Schnittpunkt, so haben sich Erwartungen, Löhne und Preise vollständig dem langfristigen Gleichgewicht angepasst. Diese Situation ist in obiger Abbildung dargestellt. Es gibt grundsätzlich zwei Arten von Schocks, Angebots- und Nachfrageschocks, in je positiver oder negativer Ausprägung. Analog gibt es vor zwei Politiken, welche in diesem Rahmen analysiert werden, die Geld- und die Fiskalpolitik, welche jeweils expansiv oder restriktiv sein können, wobei die Fiskalpolitik angebots- oder nachfrageseitig wirken kann.

Wirkung Effekt Beispiel
Positiver Angebotsschock GA nach unten/rechts Y steigt, P fällt Technischer Fortschritt, sinkende Energiepreise
Negativer Angebotsschock GA nach oben/links Y fällt, P steigt sprunghaften Anstieg der Produktionskosten, Rohstoffpreisanstieg, Ölkrise
Positiver Nachfrageschock GN nach oben/rechts Y steigt, P steigt Aktienboom
Negativer Nachfrageschock GN nach unten/links Y fällt, P fällt Wirtschaftskrise im Ausland (Exporte sinken)
Fiskalpolitik
Die Fiskalpolitik bietet mehrere Ansatzpunkte. Zum einen kann der Staat direkt die aggregierte Nachfrage durch die Veränderung des Staatskonsums steigern oder verringern. Zum anderen kann er durch Steuern und Transferzahlungen das verfügbare Einkommen der Bürger verändern und somit den privaten Konsum beeinflussen. Die effektive Wirkung einer fiskalpolitischen Maßnahme wird vom Verdrängungseffekt (crowding out) reduziert und vom Multiplikatoreffekt verstärkt.

Angebotsorientierte Fiskalpolitik stellt die Veränderung von Steuern, Abgaben, Subventionen dar, durch die der Staat die Kosten und Gewinne von Unternehmen und damit das aggregierte Angebot beeinflussen kann.

Geldpolitik
Mit Geldpolitik wird gemeinhin die die Steuerung der Geldmenge oder des kurzfristigen Zinses durch die Zentralbank bezeichnet. Der jeweiligen Zentralbank oder Behörde stehen die Mindestreserve-, die Refinanzierungs- und die Offenmarktpolitik zur Verfügung, wobei letztgenannte am bedeutendsten ist, sowie ggf. regulatorische Maßnahmen, Devisengeschäfte oder im Extremfall Kapitalverkehrsbeschränkungen. Bei Offenmarktgeschäften erhöht oder senkt die Zentralbank die Geldmenge durch Kauf oder Verkauf von Wertpapieren. Im ersten Fall wird die Geldmenge erhöht bei sinkendem Zinsniveau, im zweiten verringert bei steigendem Zinsniveau. Geldpolitik wirkt im GAGN-Modell primär auf die aggregierte Nachfrage. Eine expansive Geldpolitik (Steigerung der Geldmenge, sinkende Zinsen) verschiebt die aggregierte Nachfragekurve nach rechts. Eine restriktive Geldpolitik (Kontraktion der Geldmenge, steigenden Zinsen) wirkt hingegen wie ein negativer Nachfrageschock und verschiebt die Nachfragekurve nach links.

Wirkung

Effekt

Beispiel

Expansive Fiskalpolitik, angebotsseitig

GA nach unten/rechts Y steigt, P fällt

Senkung der Unternehmenssteuern, laxere Umwelt- und Arbeitsschutzmaßnahmen, Reduzierung des Kündigungsschutzes

Restriktive Fiskalpolitik, angebotsseitig

GA nach oben/links Y fällt, P steigt

Stärkere Auflagen und Regulierungen, Steuererhöhungen

Expansive Geldpolitik / Expansive Fiskalpolitik, nachfrageseitig

GN nach oben/rechts Y steigt, P steigt

Geldmenge steigt, Zins fällt / Höhere Staatsausgaben, Steuersenkungen

Restriktive Geldpolitik / Restriktive Fiskalpolitik, nachfrageseitig

GN nach unten/links Y fällt, P fällt

Geldmenge fällt, Zins steigt / Sparmaßnahmen, Austerität, Steuerhöhung

Ziele, Zielkonflikte und Lösungen
Grundsätzlich eignen sich Preisniveau- und Wachstumsziele für die Analyse mit Hilfe des AS-AD-Modells. Ganz offenbar können diese Ziele miteinander im Konflikt stehen. Beispielsweise wenn nach einem positiven Nachfrageschock oder expansiver Fiskalpolitik zwar das BIP steigt, aber auch Inflation droht, also das Preisniveauziel in Gefahr ist. Zumeist sind Geldpolitik und Fiskalpolitik auch in unterschiedlichen Institutionen angesiedelt, die Fiskalpolitik in der Regierung und die Geldpolitik bei der Zentralbank. Das Standardszenario für Europa geht von einer unabhängigen Zentralbank mit Preisniveauziel und einer Regierung mit Wachstumsziel (d.h. BIP sinkt nicht, Ausgleich kurzfristiger wirtschaftlicher Schwankungen) aus. Je nach Art des Schocks, können also eine oder beide Institutionen aktiv werden müssen und je nach Maßnahme, können sich die Politiken ergänzen oder auch gegenseitig stören. So ist die Europäische Zentralbank (EZB) verpflichtet, die Preisniveaustabilität zu gewährleisten. Maßnahmen, die diesem Ziel dienen, können negative Wirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben (vgl. negativer Angebotsschock). Somit besteht zwischen Regierung und Notenbank ein Konflikt über die zu treffenden Maßnahmen. Beispiele sind unten aufgeführt. Mit Hilfe der Graphiken können diese leicht nachvollzogen werden und auch eigene Analysen durchgeführt werden. Eine Faustregel ist dabei offensichtlich: Jeder Schock kann durch eine Politikmaßnahme, die in entgegengesetzter Richtung auf dieselbe Kurve einwirkt, aufgehoben werden, so dass sowohl Preisniveau wie auch BIP auf das Ursprungsniveau zurückkehren.
Ein Kochrezept zur Analyse
  1. Definition des Ziels: Preisnivauestabilitäts- oder BIP-Ziel, oder beide? Welche Institutionen verfügen über welche Maßnahmen?
  2. Bestimmen der Art des Schocks
  3. Bestimmen der Schockreaktion: Veränderung Y und P
  4. Welche Zielvariablen müssen berichtigt werden? Auswahl der möglichen Maßnahmen.
  5. Bestimmen der Reaktion auf die Maßnahmen.
Beispiel 1: Negativer Angebotsschock
Im Ausgangsgleichgewicht erfahren die Unternehmen einen negativen Angebotsschock, beispielsweise durch einen drastischen Anstieg der Ölpreise wie in den 1970er Jahren. Die AS-Kurse verschiebt sich nach links, das BIP sinkt und die Inflation steigt. Die Arbeitslosigkeit vergrößert sich und die Volkswirtschaft befindet sich in einer Stagflation (Stagnation & Inflation).

Es gibt nun vier sich nicht ausschließende Politikoptionen:

  1. Aussitzen: Die erste Alternative ist nichts zu tun und abzuwarten. Selbstheilungsprozesse heben das Produktions- und Preisniveau langsam wieder auf das natürlichen Niveau. Diese Art der Politik ist sehr schmerzhaft, da die Volkswirtschaft relativ lange in einer Rezession bei hoher Arbeitslosigkeit verharrt. Eine längere hohe Arbeitslosenquote und ein niedriges Produktionsniveau drücken dann die Löhne nach unten. Bei niedrigen Lohnsätzen steigern die Unternehmen ihre Produktion wieder Außerdem können nach unten starre Löhne den Selbstheilungsprozeß verzögern oder gänzlich aufhalten.
  2. Fiskalpolitische Maßnahmen zur Stärkung der Angebotsseite: Beispiele für derartige politische Maßnahmen sind die Senkung der Gewinnsteuern oder der Lohnnebenkosten, Reduzierung der Steuern auf Rohstoffe und Energie, Abbau von Regulierungen sowie Subventionen. Wird auf einen negativen Angebotsschock durch eine entsprechend gegengerichtete Angebotspolitik reagiert, so lassen sich die Wirkungen des Schocks ohne Zielkonflikt reduzieren.
  3. Nachfrageorientierte Fiskalpolitik (Hollande): Eine Stärkung der Nachfrageseite durch Steuersenkungen oder eine Erhöhung der Staatsnachfrage erzeugt einen Zielkonflikt zwischen Regierung und Notenbank. Eine Steigerung der Aggregierten Nachfrage erhöht die Inflation noch weiter und zwingt eine inflationsorientierte Notenbank zu einer Gegenreaktion (s. 5)
  4. Wachstumsorientierte Geldpolitik: Hat die Geldpolitik jedoch ebenfalls mehr den aktuellen Zustand der Ökonomie als die Inflationsgefahren zum Ziel, dann wird sie mit expansiver Geldpolitik die nachfrageorientierte Fiskalpolitik unterstützen. Dies wird dann als konzertierte Aktion oder akkommodierende Politik bezeichnet.
  5. Preisniveauorientierte Geldpolitik: Um dem Anstieg des Preisniveaus entgegen zu wirken, muss die Notenbank eine restriktive Geldpolitik einsetzen. Der Anstieg der Zinsen und die Reduzierung der Geldmenge werden allerdings die Wirtschaft tiefer in die Rezession treiben und die ökonomische Situation zunächst verschlimmern.

Im Fall der Ölpreisschocks in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde ab 1975 durch eine stimulierende Geld- und Fiskalpolitik die Rezession schneller überwunden, als es sonst der Fall gewesen wäre, alldings auf Kosten einer höheren Inflationsrate. Im Gegensatz dazu ist die EZB heute ausschließlich der Preisniveaustabilisierung verpflichtet, so dass es heutzutage zu einem Konflikt zwischen den politischen Maßnahmen käme.

Beispiel 2: Negativer Nachfrageschock
Als Beispiel für einen negativen Schock auf die aggregierte Nachfrage können die Folgen des 11. September 2001 in den USA gelten, welche auch mit den Nachwirkungen des Platzens der Dotcom-Blase zusammenfällt. Letztere führte zu großen Vermögensverlusten der Haushalte und in der Folge zu Nachfrageeinbrüchen. Ersteres führte zu einem verstärkten Vorsorge- und Sparverhalten. Beide Effekte dämpfen die aggregierte Nachfrage deutlich. (Linksverschiebung der AD-Kurve, sinkendes BIP und sinkendes Preisniveau).

Reaktion der Geldpolitik: Die FED unter Allan Greenspan senkte deutlich die Zinsen und flutete die Märkte mit frischem Notenbankgeld, um ein zu starkes Einbrechen der Märkte zu verhindern. Kritiker bezeichnen dies als "Greenspan-Put", da diese Maßnahmen ähnlich wie eine Put-Option das Risiko fallender Kurse reduziert. In der Folge befeuerten die niedrigen Zinsen insbesondere den Immobilienmarkt und gelten heute als eine der Hauptursachen für die Immobilienmarktkrise 2008. Sie trugen in den Jahren 2000 und 2001 jedoch tatsächlich zu einer Dämpfung der negativen Effekte der Krise bei. (Positiver Schub auf die aggregierte Nachfrage.) Auch die Fiskalpolitik hat expansiv auf die Folgen von 9/11 reagiert und die Staatsausgaben massiv erhöht. Während der Staatshaushalt der USA in 2000 noch einen Überschuss von 200 Mrd. aufwies, war es 2002 ein Defizit von 160 Mrd.. Ein Großteil der zusätzlichen Staatsausgaben floss dabei in den Militärhaushalt zur Vorbereitung und Finanzierung des Irakkrieges. Darüberhinaus wurden auch weitere sehr hohe Staatsausgaben für die innere und äußere Sicherheit getätigt. Diese Maßnahmen haben (neben der offiziellen Aufgabe) auch eine positve Wirkung auf die aggregierte Nachfrage und wirken dem negativen Nachfrageschock entgegen.

Der Militärhaushalt ist ebenso wie die öffentliche, medizinische Versorgung und ein Großteil des Bildungssektors einer der Bereiche, in denen die crowding-out Effekte sehr gering sind. Aus ökonomischer Sie sind Investitionen dort also ein effiziente Krisenbewältigungsstrategie. Im Bildungssektor wären jedoch die Multiplikatoreffekte langfristig deutlich höher gewesen, so dass dieser aus volkswirtschaftlicher Sicht zu bevorzugen gewesen wäre.


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